draw a line

Die Zeichnungen von Jochen Schneider entstehen aus der Erinnerung. Erinnerungen sind schwer zu fassen. Sie sind nicht gegenstandslos – sie beziehen sich auf sinnlich Wahrgenommenes, haben aber keine materielle Gestalt. Wenn sie eine Form annehmen, müssen sie dabei zu etwas anderem werden. Ein Rückschluss auf die Situationen, Gegenstände und Bilder, von denen Jochen Schneider ausgeht, ist demnach nicht möglich.

Es gibt in den Zeichnungen Ebenen von Linien, Schraffuren und Flächen, aus denen sich Körper herausbilden. Diese können amorph oder eher geometrisch sein und an verschiedene Aspekte der Realität erinnern. Sie stellen niemals sicher benennbare Gegenstände dar. Als zeichnerische Elemente stehen sie in bestimmten Verhältnissen zueinander, darin sind sie Dingen vergleichbar. Man kann sie deutlich voneinander unterscheiden, ihre Position in Bezug aufeinander und evozierte Vorstellungen ihrer Dynamik benennen.

Der Bildraum, in dem sie auftreten, ist nicht nach realen Maßgaben konstruiert. Er läßt sich nicht logisch auflösen. Ansichten, die an Querschnitte durch organische Strukturen, und andere, die an Luftperspektiven erinnern, können gleichzeitig in ihm vorkommen. Es gibt viele Anspielungen auf landschaftliche Darstellungen, die den Eindruck erwecken, man würde irgendeine Art von Außenwelt betrachten; gleichzeitig erscheint diese Welt aber als nicht wirklich betretbare. Je weiter man sich in sie hineindenkt, desto stärker wird das Gefühl, keinen Platz in ihr zu finden. Sie bleibt fragmentarisch und widersprüchlich. Ihre Räumlichkeit scheint sich eher in einem selbst als Betrachter einen Platz zu schaffen und sich auszudehnen.

Es ist also schwer zu sagen, ob das, worauf man schaut, innen oder außen liegt – die Zeichnungen selbst weisen allerdings beharrlich darauf hin, dass man sich bei ihrer Betrachtung vor allem auf einem Blatt Papier befindet. Die Räume, die sich öffnen, verschließen sich immer wieder und kippen in die Fläche. Was auf den Blättern sichtbar wird, besteht aus Linien aus Graphit, die heller oder dunkler sein, Flächen aufbauen und die Illusion von Raum erzeugen können.

Hannah Regenberg, 2013